Es war der 16. Januar im Jahre 1913, als das Neue Bremer Rathaus seiner Bestimmung übergeben wurde. Genau 100 Jahre später steht der geniale Anbau an das altehrwürdige Bremer Rathaus des Jahres 1404 beim traditionellen Neujahrsempfang des Bremer Senats im Mittelpunkt des Interesses. Überall offene Türen – und viele der rund 500 geladenen Gäste nehmen die Gelegenheit wahr, sich im Festsaal, im Kaminsaal, dem Gobelinzimmer oder im Senatssaal einmal genauer umzusehen. Beim vorangegangenen Festakt hatte Bürgermeister Jens Böhrnsen das Neue Rathaus als "selbstbewussten Ausdruck bremischen Bürgerstolzes" gewürdigt, das sich in besonderer Weise durch seine innerliche Harmonie mit dem alten Rathaus auszeichne. Auch die Gastrednerin, Dr. Rosemarie Wilcken (Vorstandsvorsitzende der Deutschen Stiftung Denkschalschutz) sprach von einer "Symbiose mit dem mittelalterlichen Hallenbau", die das Neue Rathaus eingegangen sei. Für Bremerinnen und Bremer werde es als eigenständiger Bau gar nicht wahrgenommen.
In seiner Neujahrsansprache hob Bürgermeister Böhrnsen in besonderer Weise die Bedeutung der Europäischen Union "als Frucht eines Friedensprojektes" hervor, das über ein halbes Jahrhundert reifte. Er erinnerte daran, dass die deutsch-Französische Aussöhnung eine entscheidende Grundlage war, die vor 50 Jahren mit dem Elysee-Vertrag auf den Weg gebracht worden war. "Europa ist heute, trotz aller Krisen, immer noch ein wunderbares Gebilde", betonte Böhrnsen. Es stehe für Menschenrecht und Humanität, für Zivilisation und Kultur, für Rechts- und Sozialstaatlichkeit, für Presse- und Meinungsfreiheit, für kulturelle und religiöse Vielfalt, für die Achtung der Menschenwürde. Böhrnsen: "Uns muss bewusst sein, dass dieses Europa etwas Kostbares ist - weit mehr als Binnenmarkt und Währungsunion. Dem europäischen Einigungsprozess verdanken wir eine historisch einmalige Epoche von Wohlstand, Frieden und Freiheit. Deshalb: lassen Sie uns überzeugte Europäer bleiben. Ich bin mir nicht sicher, ob wir diese Geschichte unseren Kindern und Enkeln schon deutlich genug erzählt haben."
Auch das Bremer Rathaus hat für den europäischen Einigungsprozess eine gewisse Rolle gespielt. Darauf hatte Bürgermeister Böhrnsen bereits in seiner Rede beim des Neujahrsempfanges für die Mitglieder des konsularischen Korps hingewiesen, der kurz vor dem Festakt zum 100. Geburtstag des Neuen Rathauses im Kaminsaal stattgefunden hatte. 1978 nämlich wurde im Bremer Rathaus beim Treffen der europäischen Regierungschefs unter der Federführung von Valery Giscard d´Estaing und Helmut Schmidt der Beschluss gefasst, eine gemeinsame europäische Währung einzuführen. "Damit legten sie die Grundlage für das weitere Zusammenwachsen Europas", unterstrich Böhrnsen.
Die heutige Einbeziehung der östlichen Nachbarn indes sei damals noch fern gewesen, erinnerte der Bürgermeister. "Die im gleichen Jahr 1978 unter Bürgermeister Hans Koschnick begonnene Zusammenarbeit Bremens mit dem polnischen Danzig, war ein wichtiger erster Schritt auf dem Weg dahin. Sie führte vor 35 Jahren erstmals eine polnische Städtedelegation in das Bremer Rathaus".
Als weiteren wichtigen Aspekt sprach Böhrnsen in der Neujahrs- und Festansprache die soziale Spaltung in Bremen und Bremerhaven an. "Sie erfüllt mich mit Sorge", sagte Böhrnsen. Noch sei zu vielen Menschen eine gleichberechtigte Teilhabe an den materiellen und kulturellen Gütern verwehrt – "und wenn letztlich der Geldbeutel der Eltern über Bildungs- und Aufstiegschancen entscheidet, dann läuft etwas grundsätzlich falsch." Armut und Ausgrenzung bedeuteten nicht nur eine Verletzung der Würde der Betroffenen, sondern auch eine Bedrohung der Demokratie. Böhrnsen: "Der Senat wird sich deshalb weiterhin anstrengen, dort besondere Aktivitäten zu entfalten, wo der Teufelskreis von Benachteiligung und Ausgrenzung durchbrochen werden muss". Dafür allerdings werde die Hilfe der Zivilgesellschaft benötigt. Er dankte in diesem Zusammenhang all den Bremerinnen und Bremern, die sich in den Dienst anderer oder der Allgemeinheit stellten. "Sie helfen entscheidend mit, den sozialen Zusammenhang in Bremen und Bremerhaven zu stärken."
Zur solidarischen Bürgergesellschaft gehöre indes nicht nur, dass sich viele für die Gemeinschaft einsetzen, gab Böhrnsen zu bedenken. Genauso gehöre dazu, dass sich auch viele zu Wort meldeten und ihre Kompetenzen in politische und gesellschaftliche Diskussionen einbringen würden. Der Senat werde alle Möglichkeiten dafür weiter verbessern. "Das Fundament unserer Bürgergesellschaft ist eine starke Wirtschaft, die für Einkommen und gute Arbeit sorgt. Deshalb wird der Senat unvermindert daran arbeiten, die Rahmenbedingungen für wirtschaftliche Stabilität weiter zu verbessern."
"Städte als Mutter der Demokratie"
Festrednerin Dr. Rosemarie Wilcken, die 20 Jahre lang Bürgermeisterin von Wismar war, hob in ihrem Vortrag die Bedeutung des Rathauses als Stätte kommunaler Selbstverwaltung hervor. Die Verwandlung der Welt sei von der kommunalen Bürgerstadt ausgegangen, die sich in Deutschland im 13. und 14. Jahrhundert allmählich durchgesetzt hätte, Autonomie und Selbstregierung gegen herrschaftliche Gewalten verteidigt und dann zum Vorbild für den Norden und Osten Europas geworden seien. So hätten sich auch die Bremer bis zum Ende des 14.Jh aus den Bindungen der Bischofsstadt befreit und seien eine autonome Bürgergemeinde geworden. "Das war der Beginn des Weges von Bremen in eine freie Stadt, Hansestadt und selbstbewusste Städterepublik, bis zum heutigen Stadtstaat", sagte Wilcken.
Die Städte würden wegen ihrer Selbstverwaltung, ihrer Unmittelbarkeit und den Möglichkeiten für eine direkte Demokratie und politische Beteiligung sehr häufig als Schule oder sogar Mutter der Demokratie bezeichnet, betonte Wilcken. Nirgendwo seien die Beziehungen der Bürgerinnen und Bürger zu ihren demokratisch gewählten Vertretern direkter und näher als auf der kommunalen Ebene. Dort wirkten sich Entscheidungen unmittelbar auf das Lebensumfeld der Einwohnerinnen und Einwohner sowie das gesellschaftliches Leben aus.
"Internationalen Verbindungen verstärkt und weiterentwickelt"
Beim Neujahrsempfang für das diplomatische Korps hatte sich Bürgermeister Jens Böhrnsen für die gute Zusammenarbeit mit den für Bremen zuständigen Diplomatinnen und Diplomaten bedankt. "Wir wissen es sehr zu schätzen, wie sehr unsere internationalen Verbindungen verstärkt und weiterentwickelt werden", sagte Böhrnsen. Ohne diese sei Bremens tausendjährige Geschichte gar nicht denkbar. "In Bremen verbinden sich Tradition und Moderne – dies wollen wir gemeinsam weiterführen".
Doyen Manuel Fernández Salorio, Generalkonsul der Republik Argentinien, lobte in seiner Ansprache Bremens maritime Vergangenheit und hob u.a. die Konstanten der bremischen Wirtschaft hervor. "Wir stehen Bremen auch 2013 zur Seite", sagte der Diplomat. Anerkennende Worte fand Doyen Hans-Christoph Enge (Honorarkonsul des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland) auch für die Weltoffenheit Bremens und die „hervorragende Kooperation“ mit den senatorischen Dienststellen. "Wir sehen uns in unseren Entsendestaaten als Vertreter Bremens und machen das sehr gern", so Enge.
Den Wortlaut der Neujahrsansprache von Bürgermeister Jens Böhrnsen findet sich hier (pdf, 34.6 KB).
Fotos: Anja Raschdorf, Senatspressestelle