Wenn in der Oberen Rathaushalle feierlich gedeckte Tische in der Form von Neptuns Dreizack aufgebaut sind, das Tafelsilber blitzblank poliert ist und der „Einzug der Gäste“ aus Richard Wagners Oper „Tannhäuser“ erklingt, wird jahrhundertealte Bremische Tradition lebendig. Bereits zum 468. Mal hat die Stiftung Haus Seefahrt heute (10.2.2012) zu einem der ältesten Brudermahle der Welt geladen. Ehrengast ist in diesem Jahr der Präsident des Deutschen Bundestages, Professor Norbert Lammert.
Vor dem minutiös geplanten, knapp fünfstündigen Sechs-Gänge-Menü empfing Bürgermeister Jens Böhrnsen den Bundestagspräsidenten zum Eintrag in das Goldene Buch Bremens.
„An der Schaffermahlzeit teilzunehmen ist fast noch schöner als im Deutschen Bundestag zu sein“, sagte Bundestagspräsident Lammert auf Nachfrage von Medienvertretern. Bis kurz vor dem Einlass in die Obere Halle fachsimpelte er mit Bürgermeister Böhrnsen über die, so Lammert, „eindrucksvolle protokollarisch durchdeklinierte Abfolge“ der Schaffermahlzeit. Gefragt nach dem Inhalt seiner Rede antwortete der Bundestagspräsident etwas launig: „Ich lasse mich davon überraschen, ob mir zum Schluss noch etwas einfällt, was noch nicht gesagt wurde.“ Sozusagen als Plan B, so Lammert, wolle er aber in seiner Rede auf das Verhältnis zwischen Politik und Wirtschaft im 21. Jahrhundert mit Fokus auf die Entwicklung der Finanzmärkte eingehen.
Bürgermeister Böhrnsen, der Lammert bereits nicht nur aus seiner Zeit im Schloss Bellevue kennt, sagte über den diesjährigen Ehrengast: „Ich schätze ihn sehr, denn er ist ein überzeugter und begeisterter Parlamentarier, für den die Rechte des Parlaments immer im Vordergrund stehen, auch wenn er sich damit nicht nur Freunde macht.“ Zuversichtlich in Bezug auf die Rede Lammerts erklärte Böhrnsen: „Er ist ein inspirierender und sehr unterhaltsamer Redner.“
Um genau 14:28 Uhr klopfte Andreas Bunnemann, Verwaltender Vorsteher der Stiftung Haus Seefahrt, dreimal an die Tür zur Oberen Halle und das laute Gemurmel der 300 Herren in Frack und Kapitänsuniform sowie der zahlreichen Medienvertreterinnen und -vertreter verstummte mit einem Schlag. Mit den Worten „Schaffen, schaffen, unnen un boven - unnen un boven schaffen!“ eröffnete Bunnemann anschließend offiziell die Schaffermahlzeit 2012. Jeweils 100 Kapitäne, Kaufleute und auswärtige Gäste aus Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Politik strömten vom Festsaal in die Obere Rathaushalle. Von 14:38 Uhr bis 19:30 Uhr werden sie dort ein Essen genießen, dessen Gänge seit vielen Jahren unverändert sind: Auf Bremer Hühnersuppe folgt Stockfisch, Seefahrtsbier, Braunkohl mit Pinkel und Rauchfleisch, Kalbsbraten und Rigaer Butt. Das Essen wird nur für die zwölf Reden der drei Schaffer und des Ehrengastes unterbrochen. Zum Abschluss der Mahlzeit wird Tabak aus langen weißen Tonpfeifen geraucht.
Zu den diesjährigen Gästen zählen unter anderem Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr, Peter Löscher, Vorstandsvorsitzender der Siemens AG, Dr. Herbert Diess, Mitglied des Vorstandes Bayerische Motorenwerke AG, Dr. jur. Hubert Achermann, Chief Executive Officer der KPMG AG CH, Professor Volker Liebig, Direktor für Erdbeobachtungsprogramme der European Space Agency (ESA) sowie die Botschafter der Niederlande, Großbritanniens, Ecuadors, Mexikos und Kolumbiens.
Eine Einladung zur Schaffermahlzeit gilt als besondere Ehre, denn Gäste dürfen nur ein einziges Mal in ihrem Leben an dem Festessen teilnehmen. Eine Ausnahme gilt allerdings für den Hausherrn: der amtierende Bürgermeister und Präsident des Senats darf jedes Jahr mit dabei sein. Zur Tradition gehört es noch heute, dass als Gast weder Bremer Bürger noch Frauen an dem Brudermahl teilnehmen dürfen. Ausnahmen bisher: die deutsche Kanzlerin Angela Merkel im Jahr 2007 und Barbara Massing, als erste Kapitänin zur See im Jahr 2004.
Die Schaffermahlzeit geht zurück auf das jährliche Treffen von Kaufleuten, Reedern und Kapitänen zum Ende des Winters. Bei dieser Lagebesprechung für das bevorstehende Schifffahrtsjahr wurden und werden auch heute noch Spenden für die Stiftung Haus Seefahrt gesammelt. Die Stiftung wurde 1545 als Sozialkasse für mittellose Seefahrer und Hinterbliebene von Seeleuten gegründet und unterhält bis heute Wohnungen für pensionierte Kapitäne und deren Frauen und Kapitänswitwen. Seit 2011 werden außerdem bedürftige Nautik-Studentinnen und -Studenten, die Kapitäne von morgen, finanziell unterstützt.
Fotos: Senatspressestelle